KÖLN/FRANKFURT (dpa-AFX) - Rund 3,8 Millionen Beschäftigte der deutschen Metall- und Elektroindustrie erhalten bis Ende des nächsten Jahres deutliche Reallohnzuwächse. Arbeitgeber und IG Metall haben in der Nacht auf Freitag in Köln einen Pilotabschluss für das Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen erzielt, das auch auf die übrigen Regionen übertragen werden soll.
Der Abschluss sieht mehr Geld in zwei Stufen und eine Einmalzahlung vor. Der rückwirkend vom 1. April geltende Vertrag enthält zunächst eine Einmalzahlung von 150 Euro für die drei Nullmonate bis Juni. Danach greift am 1. Juli die erste Stufe von 2,8 Prozent. Die zweite Stufe von 2,0 Prozent gilt dann ab dem 1. April 2017 bis zum Jahresende. Bei aktuell praktisch nicht vorhandener Inflation schlägt die Erhöhung positiv auf den Geldbeutel der Beschäftigten durch.
AUSNAHMEREGELN FÜR SCHWÄCHERE FIRMEN
IG Metall und Arbeitgeber einigten sich zudem auf Ausnahmeregeln für wirtschaftlich schwächere Unternehmen, wie beide Seiten mitteilten. So kann die Einmalzahlung ganz wegfallen oder verschoben werden. Die zweite Tarifstufe könne im Einzelfall drei Monate später greifen. Darüber sollen dann aber nicht wie bislang Betriebsrat und Unternehmen, sondern Gewerkschaft und Arbeitgeberverband vor Ort verhandeln und innerhalb eines Monats ein Ergebnis finden. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 21 Monaten bis Ende 2017.
Der Abschluss von Nordrhein-Westfalen soll auf die übrigen Tarifgebiete übertragen werden. Mit der nun erzielten Einigung wurde eine Eskalation des Tarifkonflikts nach Pfingsten abgewendet. Die IG Metall hatte mit einer Ausweitung des Arbeitskampfes in der kommenden Woche gedroht, falls es bei den Verhandlungen in Köln zu keiner Annäherung kommen sollte.
PILOTCHARAKTER
Beide Seiten bewerteten den Abschluss positiv. "Das ist ein Abschluss mit Pilotcharakter. Die Beschäftigten bekommen eine deutliche Erhöhung der Realeinkommen und damit einen fairen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg", erklärte der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann.
Der NRW-Arbeitgeberpräsident und Verhandlungsführer Arndt Kirchhoff betonte die Ausnahmeregeln für schwächere Betriebe. Der Abschluss sei ein "Türöffner für einen Wiedereinstieg in die innovative Tarifpolitik." Der Abschluss sei ein solider Dreiklang aus akzeptabler Lohnerhöhung, betrieblicher Flexibilität und langer Laufzeit, erklärte Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger. Die Tarifbindung der Unternehmen könne so gestärkt werden.
Wegen der erstmals seit sechs Jahren wieder ausgehandelten Differenzierungsklauseln für wirtschaftlich schwächere Betriebe sei der aktuelle Abschluss aber "wesentlich bekömmlicher" als seine Vorgänger in den vergangenen Jahren. Nach Gesamtmetall-Berechnungen kann ein Unternehmen seine Belastung durch die Tariferhöhung um 10 Prozent absenken, allerdings erst nach erfolgreichen Verhandlungen mit der Gewerkschaft auf örtlicher Ebene. Mit dieser Differenzierung ergebe sich eine deutlich niedrigere Belastung, erklärte Dulger.
ZUSÄTZLICHE LOHNKOSTEN IN MILLIARDENHÖHE
Der Tarifabschluss wird die Unternehmen gleichwohl mit zusätzlichen Lohnkosten in Milliardenhöhe belasten. Am Ende der Laufzeit werde die jährliche Lohnsumme von derzeit 230 Milliarden Euro um weitere rund 10 Milliarden Euro gestiegen sein, erklärte Dulger. "Einmal mehr mussten wir an die Grenze der Belastbarkeit der Unternehmen gehen. Für die Zukunft würde ich mir mehr Lohnzurückhaltung seitens der Gewerkschaft wünschen."
Beim Maschinenbau-Verband VDMA kamen die Lohnerhöhungen nicht gut an. "Gerade für unsere exportorientierten Unternehmen sind die Aussichten alles andere als rosig. Die Lohnerhöhungen tragen zur weiteren Verschärfung unserer Wettbewerbssituation bei", erklärte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. Er lobte die vorgesehenen Differenzierungsklauseln, die es den Betrieben ermöglichten, die zusätzlichen Belastungen zu strecken. "Wir fordern unsere Mitglieder auf, diese Möglichkeit zu nutzen.